Bombe★Funk

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Publisher: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
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Publication Date: 06.08.2021
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In stock: YES
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Country: Austria
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Bombe★Funk

 

Mit Štrougal in der Band war auf einmal alles ganz anders. Er erinnerte mich an einen Soldaten und er sprach auch wie ein Soldat – kurz und bündig und direkt, ohne unnötige Ausreden. Mit ihm bekam Funky Leninz seinen wirklichen General, der sich auf die kommenden Kämpfe vorbereitete.  Es war in ihm nicht nur der Krieger, sein poetisches Gesicht verbarg er für einen Augenblick hinter dem Mikrofon, von denen wir aber in der Anfangsphase erbärmlich wenig hatten.

Vorläufig war seine Aufgabe eine andere. Er musste Lájos‘ rhythmische Eskapaden abschwächen, Panenkas falsche Akkorde korrigieren und Dvořák erklären, dass man den Rhythmus nicht berechnen kann, sondern ihn fühlen muss.  Ich beobachtete ihn, wie er Tag für Tag spielte und sich bemühte aus diesem Heterogenen, der Änderung widerstrebenden Materie nicht kompatibler Individuen etwas Ganzes zu erschaffen. Zum Glück bezauberte er sie aber alle mit seiner Führerpersönlichkeit und sie akzeptierten ganz unterwürfig seine Vorwürfe und Befehle.

Nach drei Tagen gegenseitigen Abklopfens entschieden wir uns, dass wir es mit dem ersten Song probieren. Meine Vision war, dass von Anfang an Funky Leninz Variationen von Funkklassikern spielen wird und dann die Band diese durch ihr Zuspiel verfeinert. So haben es alle Rockbands gemacht und es gab keinen Grund dieses eingeführte Vorgehen zu ändern.

Als aller erstes Lied wählte ich „Mothership Connection“ von der Gruppe  „The Parliaments“ aus, gar kein anspruchsvolles Stück, das vor allem Panenka vor minimale Ansprüche stellte. Der kämpfte immer so ein bisschen mit der Gitarre, die Griffe kamen bei ihm durcheinander und er ging jeden Abend mit Krämpfen in der Hand heim.   

Diese paar Akkorde von Mothership Connection schaffte er aber im Laufe eines Nachmittags zu lernen und schon bald klangen aus dem Probenraum die ersten schüchternen Versuche, unterbrochen von Štrougals kurzen Schreien „Gitarre D-dur!“, „Dieser Übergang wartet, Lájos“ und dergleichen. Während sich die Band langsam verbesserte, war es meine Aufgabe, jemanden zu finden, der die Songtexte in unsere Muttersprache übersetzen würde. Ich wollte nämlich nicht zulassen, dass Funky Leninz in einer imperialistischen Sprache singt. Die Mehrheit der besten Übersetzer aus dem Englischen war in  dieser Zeit offiziell geächtet, weil sich die Spitze der Künstler häufig aus Rebellen rekrutierte, die gefährliche kapitalistische Gedanken propagierten. Mit dieser Handvoll bewusster linker Autoren im Westen hielt zwar unser sozialistisches Übersetzerwesen Schritt, an Kaderanglisten waren jedoch ein spürbarer Mangel. Ich stand vor dem Dilemma, ob ich die wesentliche Aufgabe der Übertragung eines Funkchorals ins Tschechische unzuverlässigen konterrevolutionären Elementen oder müden Routiniers anvertrauen sollte? Am Ende wählte ich den goldenen Mittelweg und kontaktierte ein gewisses erfahrenes Mitglied der Jazz-Sektion, das regen Verkehr mit dem Untergrund und den Intellektuellen in der Emigration pflegte, aber zugleich Agent des Geheimdienstes war und regelmäßig die Sicherheitsorgane über die Vorgänge bei den reaktionären Kräften informierte.

Bei ihm konnte ich eine gut ausgeführte Arbeit, die ideologisch zugleich nicht mangelhaft war, erwarten. Es hatte übrigens schon einige ähnliche Aufgaben für unsere Popstars hinter sich. Ich versprach ihm aber, dass sein Name keinesfalls mit der Übersetzung verbunden wird, was ich auch hier einhalte.

Ich besuchte ihn in seiner Wohnung in einem luxuriösen Prager Grätzl und in einem modernistischen Fauteuil aus den sechziger Jahren sitzend, brachte ich ihm die ganze Angelegenheit vor. Von Funk hatte er bisher angeblich nichts gehört, der Name James Brown war ihm fremd und von den neueren schwarzen Musikern erinnerte er sich nur an Lionel Ritchie. Er kannte auch nicht die Platten von Miles Davis, der bei ihm – wie es nicht versäumte zu betonen – mit „Kind of Blue“ aufhörte. 

Immerhin versprach er, dass er sich noch diesen Abend an die Übersetzung setzen werde. Er stimmte auch dem Lohn zu, der angenehm fett war. In den kantigen Formen der rückschrittlichen Designer fühlte ich mich nicht besonders gut, und darum wollte ich unsere Besprechung schnell beenden. Ich übergab ihm noch eine mit Zyklostil vervielfältigte Kopie meiner Dissertation, wenn er den ideologischen Kontext studieren wollte, aber er zeigte kein großes Interesse an ihr. Es schaute sich nicht einmal  die Seiten an und legte sie nur zufällig auf den Tisch unter die nicht zu Ende geschriebenen Texte.

Seine Arbeitsaufgabe erfüllte es nichtsdestoweniger und zwei Tage später brachte Růženka einen Umschlag mit zwei Blättern und der Vinylsingle „Parlament“, die ich ihm geborgt hatte. Es war eine solid erledigte Arbeit – das Hauptmotiv des kosmischen Mutterschiffes verstand er als Metapher eines Wasserschiffes, das im Sturm untergeht und um Hilfe ruft. Das entsprach nicht ganz dem Geist des Originals, aber aus formaler Sicht war nichts dagegen einzuwenden und so schickte ich ihm postwendend durch Růženka weitere drei Texte und Vinylplatten.

Am folgenden Vormittag legte ich den Text Štrougal vor. Er verspätete sich an diesem Tag ungefähr um zwei Stunden, was manchmal passierte. Er fühlte sich aber niemals verpflichtet, sich dafür zu entschuldigen. Die Band übte selbst und die Komposition erklang erstmals ohne Fehler und das genau in dem Augenblick, wo der Kapellmeister ankam. Štrougal stand in der Tür und hörte zu, begann zu lächeln und nach dem er seinen schweren Mantel auf den Kleiderständer gehängt hatte, lobte er sie alle.

Ich übergab ihm das Papier mit dem Text und er studierte es ungefähr fünf Minuten. Er stampfte dabei den Takt, probierte, wie sich ihm die Wörter setzten, aber dabei sang er nur im Stillen. Dann stellte er sich endlich vor das Mikrofon und ließ seine Einheit habacht stehen.

„Eins, zwo, drei,“ zählte Lájos und die Lenins setzten sich in Bewegung. Štrougal machten die tschechischen Worte keine großen Schwierigkeiten, der Refrain „Und ich rufe“ wölbte sich wie ein Bogen und ich hörte in ihm den Matrosen, der die letzte Hoffnung verlor.

Das war keine ganz vollendete Version. Panenka verwechselte in der zweiten Strophe zwei Akkorde und Lájos hielt sich nicht zurück und zog zwei Übergänge unnötig in die Länge, doch als der Song zu Ende war, strahlten alle vor Begeisterung. Zum ersten Mal spielten sie etwas, was man als unseren eigenen Song bezeichnen konnte. Es war nicht mehr eine sklavische Nachahmung der Muster nach der Gewohnheit, sondern gewissermaßen ein Original, und jetzt auch schon mit der zauberhaften Stimme, die tschechisch sang.

Nur ihr Besitzer war der einzige, auf dessen Gesicht in diesem Augenblick kein Lächeln spielte. Er stand hinter dem Mikrofon und schaute zornig auf das Papier, das er in der Hand hielt.  Dann schaute er noch einmal finster mürrisch drein und zerriss das Papier mit einem Ruck in zwei Stücke. Die zerknüllte er und warf sie in eine Ecke des Übungsraumes. Wir schauten auf ihn mit weit aufgerissenen Augen. Darüber, was er von dem Text hält, gab es keinen Zweifel, aber wir wollten noch irgendeine Erklärung.

„Genossen, bei Funk geht es nicht um Matrosen, die ertrinken. Bei Funk geht es nicht einmal darum, dass wir in einem Boot sind, das auf Grund läuft. Wenn ich diesen Blödsinn singen würde, dann würde unsere Revolution wie dieses gestrandete Schiff zugrunde gehen,“ platzte endlich Štrougal heraus. „Ja nicht, Funk ist gleich Leben plus Sehnsucht und keine Jammerei. Wir müssen von Hoffnung singen, über die strahlende Zukunft und den Sieg und unser Rufen nach Hilfe muss wie ein Siegesgebrüll klingen. Gebt mir kurz Zeit und ich schreibe den Text um.“

Mit diesen Worten ging er tatkräftig weg in mein Büro, setzte sich dort an den Tisch und begann intensiv neue Worte auf das Papier, das er dort fand, zu schreiben. Die Band erholte sich ein bisschen von dem Schock und Dvořák kommandierte noch einmal zur Instrumentalversion „Mothership Connection”. Sie war perfekt und die folgende auch und die weitere auch.

Als sie die dritte Version zu Ende gespielt hatten, erhob sich Štrougal vom Tisch und ging auf das Mikrofon los.

„Gehen wir es an, Genossen! Folgendermaßen wird es besser sein,“ sagte er und hustete kurz.

Die Band wartete auf nichts. Die einführenden Griffe waren vorbei und dann kam der erste Refrain.

„Wer den Lärm kennt, das ist ein ganzes Regiment. Gib uns. Gib uns das darum. Diese Bombe, diese Bombe ist Funk,“ schrie Štrougal und ich musste ihm im Stillen applaudieren.

Die kurzatmige Metapher über die Matrosen des zweifelhaften Schreiberlings aus der Jazz-Sektion ersetzte er durch etwas, was keinen Sinn hatte, aber ihn zugleich sehr wohl hatte – jeder seiner Verse gaben zig Interpretationen, der Sinn quoll in die dritte und vierte Dimension und die scheinbar freien Assoziationen verbanden sich an denselben Stellen wie Parallelen.

Wenn er sang: „Steig zu uns hinab, Seligkeit. Bleib stehen und lass mich herumfahren“, war das unflätig, berauschend und zugleich wahrheitsgemäß. „Hier bin ich, dein Kosmonaut,“ schallte er im letzten Drittel und wirklich sah es so aus, als ob er gerade direkt aus dem Himmel herabstieg und der Menschheit die Wahrheit von der Erlösung, die aber von innen zugänglich ist, und niemals von außen, mitteilte.

Es war so, als ob man Clintons Original las, aber die Voraussetzung war, dass der schwarze Funkspieler [funkatýr] irgendwann in Postoloprty geboren war und von den Problemen wusste, die unsere Bürger quälen. Das war perfekt und er schrieb das in ein paar Minuten auf. Unglaublich!

Übersetzung ©Stephan-Immanuel Teichgräber

Author

Karel Veselý

KAREL VESELY wurde 1976 in Znojmo geb

 

Translator

Stephan-Immanuel Teichgräber

Lebenslauf

 
bomba★funk