Windig

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Radek Malý

Strophen vom Oktober 2002

Nach oben die Schwänzlein der Eidechsen ragen

zu Mittag in Angst vor der Schlange geraten

Die endgültige Lösung der Mitternachtsfragen?

Ach ja gut möglich der Namen ist verraten

***

Wir blicken auf die Sichel der neue Mond

und in der Hand hat die kalte Kastanie ihren Ort

Es fiel ein Blatt Was ist dabei das es sich lohnt

Patin, gibt es Gott? Hmm Das erkennst du erst dort

***

Wie in Trance drehen sich Ahornpropeller zuhauf

Auch die Erde dreht sich Auch im Prater ein Riesenrad thront

Das Leben ist ein weißes Haus Wir latschen hinauf

neugierig, wer im obersten Stock wohnt

Raben kreisen über dem Belvedere

wie Fliegen im Morden

und Wolken schieben sich von Norden

Wind jagt sie scheinbar im richtigen Wetter

ach ja, vor Mähren weichst

du muffiges Europa! Du mir zu Füßen reichst!

(jetzt die steinernen Löwen gähnen)

ja, deine Engel... helfen dir vielleicht

doch fletschen sie mir nur mit den Zähnen

(Wien, Belvedere 22. 10. 2002)

Die Dämmerung ist grün wie Augen der Kurtisane,

die dieses Wien ohne Zweifel ist und protzt

Eine ältere, nicht hübsche, charmante Kurtisane

die mit teurem Puder den Jahren trotzt.

Zu den Habsburger Grüften? Jetzt links und dann bald.

Im Schloss ist es laut, freilich, das weiß man,

da wird der kleine Wolfi der Kaiserin vorgestellt.

Aus Schönbrunn entlaufen Löwen dann und wann.

Wie die Dämmerung grün die Kurtisanenaugen verdrehen,

sie hat dich mütterlich an der Hand gebracht

Beinahe hätt’ ich vergessen... überm Park krächzen Krähen

und der Mond probiert eine weiße Haarestracht.

(Wien 24. 10. 2002)

Dämmerung

(an Alfred Lichtenstein gewidmet)

Noch nicht grau, was ein bisschen trotzdem hat.

Das Mädchen läuft zur Mama. Und rennt.

Raben verfluchen stolz die Stadt,

über der wieder ein Flugzeug brennt.

Schon lange kein Herbst, und noch kein Winter.

Die Fassade des Schlosses im Gerüst verborgen.

Der Phantast phantasiert. Für ihn nichts dahinter.

Der Pfau ohne Schwanz erhaben aller Sorgen.

Im See die Enten. Und Kippen. Und Blätter.

Auf den Wegen Läufer. Regenhaut und Schweiß.

Hinter dem Tor wartet die Kutsche auf Gategetter.

Japaner fotografieren als seien sie heiß.

(Wien 24. 10. 2002)

Nebel*

Nebel wie ein abgerissner Flügel grauer Krähen

Im ausgefransten Flug durchdringt er die Gitter,

die etwas schützen... Schwarze Vögel — Friedenskreuze,

Nieselnder Nebel. Stiller Ozean.

Was? Haifische? Eine Schar Kinder, wahrscheinlich aus der hiesigen Krippe.

Sammeln Blätter und dann verschwinden sie wieder.

Die Stadt — ein Gespenst. Ein Werk, wer ist hier fremder.

Stille. Schritte. Entfernen sich. Der Regen malt in der Lacke Kreise.

(Wien, Prater 23. 10. 2002)

Aus der Lacke pickt die Taube Tschicks.*

Teufel lauern. Allein. Ohne Engel.

Du gehst in den Club, wo sich Körper an Körper lehnt.

Stolperst im Park über einen Pfauenkadaver.

Nackte Zweige. Zweige auf den Grabköpfen.

Zweige, Rahen untergegangener Schiffe.

Aus Rabenkehlen klingen Hiobsbotschaften,

dass heuer dass nicht dass nicht geboren wird.

Es ist Advent Liebe Leute

habt ihr nicht mehr gebetet?

(Innsbruck 6. 12. 2002)

Die arische Sonne brennt auf die Sudeten

und leer ist es hier. Das Bier ist billig

wie gemeine Witze. Wer vor Hitze erbricht

wird auf Knien für die Opfer beten.

Es waren und werden. Tscheche. Deutscher. Jud’.

Als Denkmal fällt den Gefallenen ein Blatt.

Wer unterm Marterl Sartre gelesen hat,

die jüdische Luna über den Friedhof lugt.

Am Parkmäuerchen läuft tollwütig ein Strauß

und die Stille. Nur der Gesang gottesnärrischer Frauen

umweht die Gitter. Wird ein Bursch’ vom Brückchen schauen

in den trüben Graben. Ohne Erinnerungen. Aus.

Und wenn es lange nicht mehr ist wie eben,

atmet das noch. Ist das noch am Leben.

(Žulová 2. 8. 2003)

Im Park wurden Lampen angezündet. Das Licht fiel ein.

Jetzt ist in dunklen Ecken die Dunkelheit noch stärker.

Šmátrá aus diesen Ecken. Schreit in geheimer Sprach’ ärger.

Wir verstehen. Wir sind nicht mehr klein.

Im Park wurden Lampen angezündet. Fledermaus gleitet,

nistet im Grauen. Den Andersgläubigen glänzt

das Grab. Die gelbe Chrysantheme kränzt

von hinten, den dunklen, schweren, den, der verbreitet.

Es gefroren die Fische in Flusstiefen. Vereisten mehr.

und der Herbst wurde zu Krähen, alles nur Krähen.

Schwarzer Schnee. Schwarzes halbes Sehnen.

Im Park wurden Lampen angezündet. Sie fürchteten sich sehr.

Ich fürchte wie ein Hund das Feuerwerk

unterm Tisch im Dunkeln hingekauert.

Ich krampfe verkrampfe vor diesem Kampf

Das Jahr wie eine Scherbe in der Hand – wozu das?

Überm Morgen besoffen. Lustig. Gesang und Gebrut.

In der Hand eine Scherbe. Die Turmuhr drehte das Schicksal.

Der Fluss fließt wie noch dickes, dunkles Blut,

aus der Nase der Morgendämmerung ein Strahl.

Ich fürchte wie ein Hund das Feuerwerk.

Im Dunkeln Angst. Ich keine Traurigkeit mehr fand.

Ich krampfe verkrampfe vor diesem Kampf.

Das Jahr wie Scherben in der Hand, wie Scherben in der Hand.

(Olmütz 31. 12. 2002)

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Autor

Malý, Radek

Der Dichter, Übersetzer und Publizist