Auszüge aus der Novelle „Nichten“

Publikation Daten

Verlag: Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur
ISBN:
ISSN:
Publikationsdatum: 2014
Ausgabe:
Vorrätig: YES
E-Mail:
Land: Austria

Ivana Myšková

Auszüge aus der Novelle „Nichten“

 

20. November

Eure Bildung ist zum großen Teil erbarmungslos. Diese Unmengen von Leuten, diese Sachen, denen ihr den Zugang verweigert und die ihr nicht zulasst, nicht einmal wenn sie drängen, nicht einmal wenn sie bitten, dass ihr sie zulasst. Aber was passiert, wenn einer von ihnen euch brauchte? Wenn ihr das Leben retten könntet – eine Freude bereiten – die Stimmung heben? Freude wird auch gemacht! Und so weit als einziges Argument die Arbeit akzeptiert wird, dann ist das auch Arbeit. Und eine gleichwertige! Wie werden die Ohren heruntergeklappt? Wie wird der Gedanke fixiert? Raten sie mir! Vermummte Gestalt, kriech heraus! Ich gehe zu dir, um mit dem Handbohrer kleine Spalten für die Augen anzubohren. Und durch diese atme. Lass dort für einen Augenblick diese Luft heraus. Achte darauf! Aber du klebst die Öffnungen von innen mit Pflastern zu, lässt dich auf dem Grund nieder und ziehst an der Schnur, es wird aufleuchten. Du blätterst nach der Stelle, wo du aufgehört hast… Du warst niemals an fünf Wagen gebunden, von denen jeder in eine andere Richtung zog! Du hattest niemals solche vollkommen verbräunte  Arme! Geht das denn, sich an ein Buch setzen, wenn dich Pferde ziehen wollen, jedes woanders hin und jeden Augenblick losgaloppiert will? 

Wem bin ich noch etwas schuldig? Jedem wenigstens ein kleines Bisschen Aufmerksamkeit. Dort in dieser Ecke, dort das leidet auch... Ein Beitraglein. Beitraglein, in Happen, in Bröseln, langsam, langfristig... Und dann lest ihr eine Seite viermal! Dann lest ihr ein Buch ein ganzes Jahr! Und wenn wenigstens das! Dann verschmiert sie auf einmal der kleine Wunsch von irgendjemanden! Verschmiert sie mir ganz, auf einmal, wenn es wenigstens Zeile für Zeile wäre, dass ich mich verabschieden kann! Auf einmal! Wortwörtlich und buchstäblich! Wie kann ich so gebildet sein wie Sie? Die reine Gleichgültigkeit ist Ihre Konzentration! Das reine Nichtsehen – ist das die Aristokratie des Geistes? Alles verdient doch meine armselige Aufmerksamkeit. Nichts ist so unwesentlich, dass man es übersehen kann! Nichtumklappbare Ohren, schlaflose Augen.

Wie ich Bücher liebe. Wie ich das Sich-Vertiefen liebe. Wie ich Gedanken liebe. Konzentriertes Denken ist schön wie Liebe! Und vielleicht ist durch diese Liebe...

Aber wenn jemand klopft, so muss ich öffnen. Da wenn jemand klopft, meine Hilfe fordert. Und wenn jemand meine Hilfe fordert, kann ich sie ihm nicht verweigern, da ich kein Recht habe, sie ihm zu verweigern... Wenn jemand klopft, ist es unpassend ihn vor der Tür stehen zu lassen, weil vor der Tür Draußen bedeuten kann und draußen kann Frost sein und nichts und niemanden dürfte ich lange   im Frost lassen, dass ihm nicht die Haut aufplatzt, damit ihm nicht die Gliedmaßen erfireren, damit ihm nicht die Blätter abfallen, damit er nicht in Eissplitter zerbricht... Da wenn wir sein Klopfen versäumen, kann das letzten Endes ein Klopfen wegen der Kälte oder des Schüttelfrostes sein, kann das ein Zähneklappern sein, kann das auch der letzte Krampf sein, ach ja, sicher eine Agonie, all das kann dieses einfache Klopfen sein, niemals können wir sicher sein, was das wirklich ist, im gleichen Maße  gewinnen wir keine Ruhe. Gerade darum, dass wir nicht sicher sein können, was dieses Klopfen in Wirklichkeit bedeutet, gerade darum ist es zwar möglich, dass wir auch keine Augenbraue bewegen, dass wir uns nicht bewegen, dass wir weiter in unsere Bücher vertieft im Feuillteu sitzen werden, nur sind wir selbst schon vereist, unser Blick richtet sich auf einen Punkt und  leugnet ihn , die Bücher sind durchsichtig und wird verfolgen nur mehr das Muster des Teppichs. Wir verfolgen das Muster auf dem Teppich und auf keinem Fall lässt sich von uns sagen, dass wir das Buch lesen. Das Buch ruht zwar auf unseren Knien, aber der Prozess ist abgeschlossen. Jemand hat angeklopft und es konnte ihm kalt sein. Jemand hat angeklopft, und bis wir ihn nicht weiter einladen, wird er weiter hinter der Tür stehen. Und wird von einem Bein auf das andere treten.

Ich fürchte an Ihre Tür zu klopfen. Ich fürchte, dass ih von einem Bein auf das andere treten werde.

Ein Meister des armseligen Beweinens

...

 

Heřman ihr. Ihr auf diese Weise. Er hat es weit zur einfachen Füllung des Magens, zur einfachen Stillung des Hungers. Heřman bringt sie und alles in Feiertagslaune. Am Ende wird es still, damit er er neu  und frisch erklingt. Wenn der Mensch nicht sähe und auf das Gehör angewiesen wäre, könnte er denken, dass hier irgend ein kleines nüchternes Tierchen Schabernack treibt.  Aber dann würde es hell werden oder seine Augen würden geöffnet und er sähe, dass das nur Heřman ist, der isst. Es schmeckt mir auch, aber Heřman schmeckt es besser. Um den Teller hat er verschiedene Gewürze aufgestellt, Salzstreuer und Pfefferstreuer, Ketchup, Senf und Sauce tartare, aber solange es ihm nur durchschnittlich schmeckt, nimmt er eine der Zutaten und beschmeckt sich, sagen wir, nur das Geschmacksgebiet, das er gerade beginnt zu erobern.

Nur wenn, bevor er sich überhaupt an die Speise setzt, die Brille auf dem Tisch ablegen würde, würde er ohne sie so nah in den Teller brillen, ihn mit der Hand abwägen und sich aufrichten, um den Gürtel (um ein, zwei Löcher im Restaurant, zu Hause ließ er den Gürtel offen) entsprechend dem, was der beladene Teller wiegt, zu verstellen.

Einmal zum Platzen gespannt, fuhr ich ihn an, spitz und geraude aus: „Könntest du nicht einmal diese Prozedur sein lassen? Es reicht, dass du dir ständig die Hände reibst und alles beschnupperst!“ Er grinste nur, lockerte den Gürtel, ließ ihn offen, setzte sich an den Tisch, legte die Brille ab, schaute sich das aus der Nähe an, schnupperte und rieb sich gründlich die Hände. „Ich bin doch ein Gourmet, Liebling, und das Essen macht mir Freude. Du würdest doch nicht wollen, dass ich das verberge,“ zwinkerte er mir gutmütig und erstaunt zu, und damit entlockte er mir wieder eine Antwort, die nach seinem Geschmack war: „Nein, das würde ich nicht wollen.“

Alibist! Alibist, wollte ich schreien, damit ich ihm einmal alle Geschmäcker verderbe. Alibist, so muss ich wieder lügen, damit du es nicht musst. Du geriebener, listiger und falscher! ich soll dir die Mauer machen?

Nein, er fühlte sich nicht gestört. Mit einer angwohnten Bewegung brachte ich das in mir zum Schweigen, auch wenn sich das noch eine Weile sträubte und rülpste, aber nach einem Atem anhalten jedoch klang alles ab. Das Essen war ihm um kein Grad kälter geworden, und so musste ich nicht befürchten, dass er es unberührt stehen lässt. (Gourmets halten keine aufgewärmten Speisen aus.)

Aber wenn ich den Teller wieder forttrage! Wieder ist das in mir. Unverschämtheit! Er  hat die Knochen nicht abgeknabbert. Das letzte, was er dem Tier erweisen konnte, hat er nicht getan. Eine Liebenswürdigkeit, wie wenn Sie in der Straßenbahn einen Sitz anbieten. Eine Kleinigkeit, und er kann sie nicht erweisen!

Bestimmten Dingen gegenüber ist er stumpf. Manchmal setzt sich auf seine Hand ein Marienkäfer  und er wischt ihn nicht weg. Er lässt ihn in den Ärmel kriechen und an den Hals herauskrabbeln, er kann über das Kinn krabbeln, kann ihm in die Nasenlöcher kriechen und er macht nichts. Bestimmten Dingen gegenüber ist er gleichgültig. Nicht, dass er Käfer gerne hätte. Er hat nur eine so harte Haut. Mit bloßen Armen zieht er aus dem Rohr Blech. Zum ersten Mal drehte er sich zu mir um, er erwartete Bewunderung und Lob, er erwartete eine Huldigung direkt vom Herzen – und dass er nicht einmal anfing zu stöhnen, verdiente er ein Weitere. Das war es, was mich hart machte. Und nichts habe ich gesagt. Wir aßen im Stillen. Solche Hände wissen nicht, was sie nehmen. Sie wissen nicht, wenn ich kalt bin oder heiß, wenn ich grob bin oder zärtlich bin. Bis ich kohlschwarz werde, erst dann küsse ich ihn ab! Bis zu dieser Zeit wird seine Furchtlosigkeit keine Tapferkeit sein und seine Duldsamkeit wird keine Umsichtigkeit sein. Alles wird nur harte Haut sein.

Wenn du es nicht entweiht hast, schau es ganz an! Ich schimpfe über ihn in der Küche über dem Teller mit dem aufgelegten Stapel von Resten. Sie starben für dich, die Knochen reinigen sie wenigstens durch ihn mit den eigenen Zähnen und der eigenen Zunge. Lass es dir aus Dankbarkeit gefallen, dass du konntest. Danke, dass sie dich sättigten. Sie starben für dich und das darf nicht umsonst sein. Iss es nicht aus Laune, iss es aus Hunger. Rufe Hochachtung hervor! Du sollst ein Gourmet sein?

Es wird Theater gespielt, aber es wird keine Hand angelegt. Reste stinken ihm, aber von ihnen distnziert er sich. Er denkt nicht daran, dass er keine Hunde und Katzen hat, er denkt nicht daran, wem das unversehrte und vom Besteck noch nicht eroberte Fleisch nutzen könnte, damit es nicht schändlich in den Abfällen verfault muss. Er sieht ruhig und kein bisschen schuldig aus, trinkt etwas, wischt sich nur in den Mundwinkeln die fettigen Lippen mit dem Tischtuch (ich muss mir mit Seife den ganzen Mund abwaschen!) und der Magen ist voll. Er ist hochmütig und erhob seinen Magen wie auch ein niedriger Feudalherr seinen niedrigsten Untertan. Er ist hoffnungslos volkstümlich.

Ich hoffe, dass ich in Tibet beerdigt werde. Und dann gehe ich mit den Knochen hinaus und suche meine Tiere.

 

 

Wir rufen zum Abendessen zusammen. Ich freue mich darauf wie ein Kind, weil wir heute wieder einmütig, zu meiner Ehre, ein willkommenes, märchenhaftes, unglaublich komisches Unterhaltungsspiel spielen werden. Aber nein, niemand hat mir nichts verraten, ich habe es selbst erraten – in der Kredenz habe ich nämlich zwei wesentliche Requisiten gefunden – ein altes und ein frisches Brot. Und weiß Gott, was noch kommt! Ein Wahnsinn! Wo erlebt man das sonst? Wo haben sie das sonst? Nein, niemand hat uns geraten. Wir haben das selbst ausgedacht! Eine zweite Natürlichkeit. Das kostet nichts und es lässt sich mehrmals am Tag spielen. Solange es etwas zu essen gibt.

Ich liebe den Kampf um harte Scherzl!

„Gib das her!“

„Gebe ich nicht.“

„Nimm hier nicht den harten...“

„Ich habe das gern.“

„Was ist das für ein Schmarrn. Du isst das, damit es gegessen wird.“

„Immerhin lasse ich das nicht verschimmeln... Zuerst muss man den alten aufessen.“

„Und warum hast du mir dann den weichen bestrichen?“

„Weil du das gern hast.“

„Und du hast das nicht gern, du hast weiches Brot nicht gern?“

„Zuerst muss man den alten essen!“

„Aber wenn ich nicht anfange, den neuen zu essen, so wird er auch alt, und wir kaufen einen neuen dazu, aber ich werde ebenso den altbackenen essen, und wenn ich ihn endlich aufesse, mache ich mich an den weichen, der inzwischen hart wird, und so fortwährend ringsherum...“

„Nå jå, nå jå, du wirst uns wieder belehren... Und warum beschwerst du dich? Hast du vielleicht kein Weiches?“

„Hab ich, aber ich will altes.“

„Altes hab ich. Iss schon.“

„So nimm dir meins und gib mir deins.“ Und hier beginnt das – das Durcheinanderwerfen. Ich werfe ihr mein frisches Scherzl, nehme mir ihrs, die Mutter wirft mein Scherzl auf Vaters Teller, Vater wieder mir...“

„Ich bitte dich, nimm dir das!“

„Nimm du dir das.“

„Hast du darauf Appetit, so friss.“

 „Du hast darauf Appetit, so friss.“

„Was? So spricht man mit der Mama? Milan, hast du das gehört?“

Starre Blicke von Auge zu Auge – jeder verdeckt den Teller mit seiner Hand.

„Schau, ein Vogel.“

„Wo?“ Und schon hat er es auf dem Teller.

„Hermina, sei nicht blöd.“

„Du bist blöd.“

„ich bin blöd? So redet man mit der Mama? Milan, das Mädchen hat kein Respekt.  So setze dich für mich ein!“

„Nå ... Mädchen ... so ... “

„Aber du neckst mich wieder! Du selbst nimmst dir das harte und mir gibst du nicht...“

Gaudi. Und es ging nur um Brot. Besser ist das bei warmer Speise. Wir schauen, wer wieviel hat. Mutter hat immer von allem am wenigsten und Haxen, Knochen, alles, was nicht geglückt ist (und davon gibt es immer nicht viel), was zerkocht, kleben geblieben, angebrannt...

Wir besichtigen den Teller. Und schwupps. Und schwupps. Ein Weilchen Unaufmerksamkeit – und er hat es dort schon... Und noch. Gaudi. Die schönsten Stücke geben sie mir, die größten geben wir Papa.  Von den Suppen und Soßen nimmt er sich gutes, schmackhaftes Fleisch, Mandelchen, Schwammerln und schwupp – und die Hand über dem Teller. – Mir nicht!

Mutter ein halbes Omelett – das sind verdiente Hälften! Mutter tranchiert die Gans – das sind verdiente Portionen! Wahrhaftig, eine wie die andere.

Und ein letztes Stück bleibt immer übrig.

„Das ist deins.“ „Nein, deins.“ Nein, deins.“

Dann wird das Gesparte in den Kühlschrank gelegt wie in ein Totenhaus und man lässt es ordentlich verderben. Weil niemand weiß, wessen das ist.

„Und für mich ist das schade.“

Übersetzung©Stephan Teichgräber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ivana Myšková

Auszüge aus der Novelle „NicHten“

 

20. November

Eure Bildung ist zum großen Teil erbarmungslos. Diese Unmengen von Leuten, diese Sachen, denen ihr den Zugang verweigert und die ihr nicht zulasst, nicht einmal wenn sie drängen, nicht einmal wenn sie bitten, dass ihr sie zulasst. Aber was passiert, wenn einer von ihnen euch brauchte? Wenn ihr das Leben retten könntet – eine Freude bereiten – die Stimmung heben? Freude wird auch gemacht! Und so weit als einziges Argument die Arbeit akzeptiert wird, dann ist das auch Arbeit. Und eine gleichwertige! Wie werden die Ohren heruntergeklappt? Wie wird der Gedanke fixiert? Raten sie mir! Vermummte Gestalt, kriech heraus! Ich gehe zu dir, um mit dem Handbohrer kleine Spalten für die Augen anzubohren. Und durch diese atme. Lass dort für einen Augenblick diese Luft heraus. Achte darauf! Aber du klebst die Öffnungen von innen mit Pflastern zu, lässt dich auf dem Grund nieder und ziehst an der Schnur, es wird aufleuchten. Du blätterst nach der Stelle, wo du aufgehört hast… Du warst niemals an fünf Wagen gebunden, von denen jeder in eine andere Richtung zog! Du hattest niemals solche vollkommen verbräunte  Arme! Geht das denn, sich an ein Buch setzen, wenn dich Pferde ziehen wollen, jedes woanders hin und jeden Augenblick losgaloppiert will? 

Wem bin ich noch etwas schuldig? Jedem wenigstens ein kleines Bisschen Aufmerksamkeit. Dort in dieser Ecke, dort das leidet auch... Ein Beitraglein. Beitraglein, in Happen, in Bröseln, langsam, langfristig... Und dann lest ihr eine Seite viermal! Dann lest ihr ein Buch ein ganzes Jahr! Und wenn wenigstens das! Dann verschmiert sie auf einmal der kleine Wunsch von irgendjemanden! Verschmiert sie mir ganz, auf einmal, wenn es wenigstens Zeile für Zeile wäre, dass ich mich verabschieden kann! Auf einmal! Wortwörtlich und buchstäblich! Wie kann ich so gebildet sein wie Sie? Die reine Gleichgültigkeit ist Ihre Konzentration! Das reine Nichtsehen – ist das die Aristokratie des Geistes? Alles verdient doch meine armselige Aufmerksamkeit. Nichts ist so unwesentlich, dass man es übersehen kann! Nichtumklappbare Ohren, schlaflose Augen.

Wie ich Bücher liebe. Wie ich das Sich-Vertiefen liebe. Wie ich Gedanken liebe. Konzentriertes Denken ist schön wie Liebe! Und vielleicht ist durch diese Liebe...

Aber wenn jemand klopft, so muss ich öffnen. Da wenn jemand klopft, meine Hilfe fordert. Und wenn jemand meine Hilfe fordert, kann ich sie ihm nicht verweigern, da ich kein Recht habe, sie ihm zu verweigern... Wenn jemand klopft, ist es unpassend ihn vor der Tür stehen zu lassen, weil vor der Tür Draußen bedeuten kann und draußen kann Frost sein und nichts und niemanden dürfte ich lange   im Frost lassen, dass ihm nicht die Haut aufplatzt, damit ihm nicht die Gliedmaßen erfireren, damit ihm nicht die Blätter abfallen, damit er nicht in Eissplitter zerbricht... Da wenn wir sein Klopfen versäumen, kann das letzten Endes ein Klopfen wegen der Kälte oder des Schüttelfrostes sein, kann das ein Zähneklappern sein, kann das auch der letzte Krampf sein, ach ja, sicher eine Agonie, all das kann dieses einfache Klopfen sein, niemals können wir sicher sein, was das wirklich ist, im gleichen Maße  gewinnen wir keine Ruhe. Gerade darum, dass wir nicht sicher sein können, was dieses Klopfen in Wirklichkeit bedeutet, gerade darum ist es zwar möglich, dass wir auch keine Augenbraue bewegen, dass wir uns nicht bewegen, dass wir weiter in unsere Bücher vertieft im Feuillteu sitzen werden, nur sind wir selbst schon vereist, unser Blick richtet sich auf einen Punkt und  leugnet ihn , die Bücher sind durchsichtig und wird verfolgen nur mehr das Muster des Teppichs. Wir verfolgen das Muster auf dem Teppich und auf keinem Fall lässt sich von uns sagen, dass wir das Buch lesen. Das Buch ruht zwar auf unseren Knien, aber der Prozess ist abgeschlossen. Jemand hat angeklopft und es konnte ihm kalt sein. Jemand hat angeklopft, und bis wir ihn nicht weiter einladen, wird er weiter hinter der Tür stehen. Und wird von einem Bein auf das andere treten.

Ich fürchte an Ihre Tür zu klopfen. Ich fürchte, dass ih von einem Bein auf das andere treten werde.

Ein Meister des armseligen Beweinens

...

 

Heřman ihr. Ihr auf diese Weise. Er hat es weit zur einfachen Füllung des Magens, zur einfachen Stillung des Hungers. Heřman bringt sie und alles in Feiertagslaune. Am Ende wird es still, damit er er neu  und frisch erklingt. Wenn der Mensch nicht sähe und auf das Gehör angewiesen wäre, könnte er denken, dass hier irgend ein kleines nüchternes Tierchen Schabernack treibt.  Aber dann würde es hell werden oder seine Augen würden geöffnet und er sähe, dass das nur Heřman ist, der isst. Es schmeckt mir auch, aber Heřman schmeckt es besser. Um den Teller hat er verschiedene Gewürze aufgestellt, Salzstreuer und Pfefferstreuer, Ketchup, Senf und Sauce tartare, aber solange es ihm nur durchschnittlich schmeckt, nimmt er eine der Zutaten und beschmeckt sich, sagen wir, nur das Geschmacksgebiet, das er gerade beginnt zu erobern.

Nur wenn, bevor er sich überhaupt an die Speise setzt, die Brille auf dem Tisch ablegen würde, würde er ohne sie so nah in den Teller brillen, ihn mit der Hand abwägen und sich aufrichten, um den Gürtel (um ein, zwei Löcher im Restaurant, zu Hause ließ er den Gürtel offen) entsprechend dem, was der beladene Teller wiegt, zu verstellen.

Einmal zum Platzen gespannt, fuhr ich ihn an, spitz und geraude aus: „Könntest du nicht einmal diese Prozedur sein lassen? Es reicht, dass du dir ständig die Hände reibst und alles beschnupperst!“ Er grinste nur, lockerte den Gürtel, ließ ihn offen, setzte sich an den Tisch, legte die Brille ab, schaute sich das aus der Nähe an, schnupperte und rieb sich gründlich die Hände. „Ich bin doch ein Gourmet, Liebling, und das Essen macht mir Freude. Du würdest doch nicht wollen, dass ich das verberge,“ zwinkerte er mir gutmütig und erstaunt zu, und damit entlockte er mir wieder eine Antwort, die nach seinem Geschmack war: „Nein, das würde ich nicht wollen.“

Alibist! Alibist, wollte ich schreien, damit ich ihm einmal alle Geschmäcker verderbe. Alibist, so muss ich wieder lügen, damit du es nicht musst. Du geriebener, listiger und falscher! ich soll dir die Mauer machen?

Nein, er fühlte sich nicht gestört. Mit einer angwohnten Bewegung brachte ich das in mir zum Schweigen, auch wenn sich das noch eine Weile sträubte und rülpste, aber nach einem Atem anhalten jedoch klang alles ab. Das Essen war ihm um kein Grad kälter geworden, und so musste ich nicht befürchten, dass er es unberührt stehen lässt. (Gourmets halten keine aufgewärmten Speisen aus.)

Aber wenn ich den Teller wieder forttrage! Wieder ist das in mir. Unverschämtheit! Er  hat die Knochen nicht abgeknabbert. Das letzte, was er dem Tier erweisen konnte, hat er nicht getan. Eine Liebenswürdigkeit, wie wenn Sie in der Straßenbahn einen Sitz anbieten. Eine Kleinigkeit, und er kann sie nicht erweisen!

Bestimmten Dingen gegenüber ist er stumpf. Manchmal setzt sich auf seine Hand ein Marienkäfer  und er wischt ihn nicht weg. Er lässt ihn in den Ärmel kriechen und an den Hals herauskrabbeln, er kann über das Kinn krabbeln, kann ihm in die Nasenlöcher kriechen und er macht nichts. Bestimmten Dingen gegenüber ist er gleichgültig. Nicht, dass er Käfer gerne hätte. Er hat nur eine so harte Haut. Mit bloßen Armen zieht er aus dem Rohr Blech. Zum ersten Mal drehte er sich zu mir um, er erwartete Bewunderung und Lob, er erwartete eine Huldigung direkt vom Herzen – und dass er nicht einmal anfing zu stöhnen, verdiente er ein Weitere. Das war es, was mich hart machte. Und nichts habe ich gesagt. Wir aßen im Stillen. Solche Hände wissen nicht, was sie nehmen. Sie wissen nicht, wenn ich kalt bin oder heiß, wenn ich grob bin oder zärtlich bin. Bis ich kohlschwarz werde, erst dann küsse ich ihn ab! Bis zu dieser Zeit wird seine Furchtlosigkeit keine Tapferkeit sein und seine Duldsamkeit wird keine Umsichtigkeit sein. Alles wird nur harte Haut sein.

Wenn du es nicht entweiht hast, schau es ganz an! Ich schimpfe über ihn in der Küche über dem Teller mit dem aufgelegten Stapel von Resten. Sie starben für dich, die Knochen reinigen sie wenigstens durch ihn mit den eigenen Zähnen und der eigenen Zunge. Lass es dir aus Dankbarkeit gefallen, dass du konntest. Danke, dass sie dich sättigten. Sie starben für dich und das darf nicht umsonst sein. Iss es nicht aus Laune, iss es aus Hunger. Rufe Hochachtung hervor! Du sollst ein Gourmet sein?

Es wird Theater gespielt, aber es wird keine Hand angelegt. Reste stinken ihm, aber von ihnen distnziert er sich. Er denkt nicht daran, dass er keine Hunde und Katzen hat, er denkt nicht daran, wem das unversehrte und vom Besteck noch nicht eroberte Fleisch nutzen könnte, damit es nicht schändlich in den Abfällen verfault muss. Er sieht ruhig und kein bisschen schuldig aus, trinkt etwas, wischt sich nur in den Mundwinkeln die fettigen Lippen mit dem Tischtuch (ich muss mir mit Seife den ganzen Mund abwaschen!) und der Magen ist voll. Er ist hochmütig und erhob seinen Magen wie auch ein niedriger Feudalherr seinen niedrigsten Untertan. Er ist hoffnungslos volkstümlich.

Ich hoffe, dass ich in Tibet beerdigt werde. Und dann gehe ich mit den Knochen hinaus und suche meine Tiere.

 

 

Wir rufen zum Abendessen zusammen. Ich freue mich darauf wie ein Kind, weil wir heute wieder einmütig, zu meiner Ehre, ein willkommenes, märchenhaftes, unglaublich komisches Unterhaltungsspiel spielen werden. Aber nein, niemand hat mir nichts verraten, ich habe es selbst erraten – in der Kredenz habe ich nämlich zwei wesentliche Requisiten gefunden – ein altes und ein frisches Brot. Und weiß Gott, was noch kommt! Ein Wahnsinn! Wo erlebt man das sonst? Wo haben sie das sonst? Nein, niemand hat uns geraten. Wir haben das selbst ausgedacht! Eine zweite Natürlichkeit. Das kostet nichts und es lässt sich mehrmals am Tag spielen. Solange es etwas zu essen gibt.

Ich liebe den Kampf um harte Scherzl!

„Gib das her!“

„Gebe ich nicht.“

„Nimm hier nicht den harten...“

„Ich habe das gern.“

„Was ist das für ein Schmarrn. Du isst das, damit es gegessen wird.“

„Immerhin lasse ich das nicht verschimmeln... Zuerst muss man den alten aufessen.“

„Und warum hast du mir dann den weichen bestrichen?“

„Weil du das gern hast.“

„Und du hast das nicht gern, du hast weiches Brot nicht gern?“

„Zuerst muss man den alten essen!“

„Aber wenn ich nicht anfange, den neuen zu essen, so wird er auch alt, und wir kaufen einen neuen dazu, aber ich werde ebenso den altbackenen essen, und wenn ich ihn endlich aufesse, mache ich mich an den weichen, der inzwischen hart wird, und so fortwährend ringsherum...“

„Nå jå, nå jå, du wirst uns wieder belehren... Und warum beschwerst du dich? Hast du vielleicht kein Weiches?“

„Hab ich, aber ich will altes.“

„Altes hab ich. Iss schon.“

„So nimm dir meins und gib mir deins.“ Und hier beginnt das – das Durcheinanderwerfen. Ich werfe ihr mein frisches Scherzl, nehme mir ihrs, die Mutter wirft mein Scherzl auf Vaters Teller, Vater wieder mir...“

„Ich bitte dich, nimm dir das!“

„Nimm du dir das.“

„Hast du darauf Appetit, so friss.“

 „Du hast darauf Appetit, so friss.“

„Was? So spricht man mit der Mama? Milan, hast du das gehört?“

Starre Blicke von Auge zu Auge – jeder verdeckt den Teller mit seiner Hand.

„Schau, ein Vogel.“

„Wo?“ Und schon hat er es auf dem Teller.

„Hermina, sei nicht blöd.“

„Du bist blöd.“

„ich bin blöd? So redet man mit der Mama? Milan, das Mädchen hat kein Respekt.  So setze dich für mich ein!“

„Nå ... Mädchen ... so ... “

„Aber du neckst mich wieder! Du selbst nimmst dir das harte und mir gibst du nicht...“

Gaudi. Und es ging nur um Brot. Besser ist das bei warmer Speise. Wir schauen, wer wieviel hat. Mutter hat immer von allem am wenigsten und Haxen, Knochen, alles, was nicht geglückt ist (und davon gibt es immer nicht viel), was zerkocht, kleben geblieben, angebrannt...

Wir besichtigen den Teller. Und schwupps. Und schwupps. Ein Weilchen Unaufmerksamkeit – und er hat es dort schon... Und noch. Gaudi. Die schönsten Stücke geben sie mir, die größten geben wir Papa.  Von den Suppen und Soßen nimmt er sich gutes, schmackhaftes Fleisch, Mandelchen, Schwammerln und schwupp – und die Hand über dem Teller. – Mir nicht!

Mutter ein halbes Omelett – das sind verdiente Hälften! Mutter tranchiert die Gans – das sind verdiente Portionen! Wahrhaftig, eine wie die andere.

Und ein letztes Stück bleibt immer übrig.

„Das ist deins.“ „Nein, deins.“ Nein, deins.“

Dann wird das Gesparte in den Kühlschrank gelegt wie in ein Totenhaus und man lässt es ordentlich verderben. Weil niemand weiß, wessen das ist.

„Und für mich ist das schade.“

Übersetzung©Stephan Teichgräber

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor

Ivana Myšková

Životopis

 

Übersetzer

Stephan-Immanuel Teichgräber

Lebenslauf

 
Nícení